Hans Brockstedt ist ein Mann der ersten Stunde, was die Entdeckung der Kunst Horst Janssens betrifft. Bereits 1956 hat er in Hannover, in seiner ersten Kunstgalerie, eine Einzelausstellung mit dem Hamburger Zeichner gewagt. Sein Mut wurde belohnt, 1968 erhielt Janssen auf der Biennale in Venedig den Sonderpreis für Grafik und erlebte den internationalen Durchbruch mit seinen spindeldürren, nackten Frauen und den entlarvenden, skurrilen Porträts.
Kurz darauf jedoch beginnt Janssens Interesse an der Landschaft, angeregt vor allem durch eine neue Liebe: Gesche Tietjens. Sie ist es, die Janssen, den eigenbrötlerischen Künstler, der nur ungern seine Behausung verlässt, in die Natur bringt und schließlich auch Reisen mit ihm unternimmt. „Gesche, das ist Landschaft“, sagt Janssen einmal. Ab 1969 entstehen sogenannte Feinstrichzeichnungen, die häufig als Metamorphose zwischen Frauenkörper und Landschaft angelegt sind. Mit Blei- und Farbstiften schafft Janssen aufregende, zarte Landschaftsgebilde, die bei näherem Hinsehen auch weibliche Körperteile erkennen lassen. Die Reisen, die Janssen mit Gesche Tietjens Anfang der 1970er Jahre unternimmt, führen zu nahezu realistischen Schilderungen der dortigen Landschaften. In dieser Zeit entstehen auch altmeisterlich anmutende Radierungen.
In den 80er Jahren gerät der Baum, vor allem die Kopfweide, in den Fokus von Janssens Schaffen, auch hier fesseln ihn die anthropomorphen Eigenschaften, die es bei Stamm, Ästen und Zweigen zu entdecken gibt. Janssens Interesse an den „menschlichen Züge“ der Bäume gipfelt in dem großformatigen Radierzyklus von 1986 „Laokoon“.
Nach einem tragischen Unfall mit zeitweiligem Verlust des Augenlichtes findet Janssen ab Ende 1990 umso intensiver zur Landschaftsdarstellung zurück: Aufgewühlte Flüsse, berstende Bäume und dramatische Himmel bestimmen die Darstellungen. Die vehement getuschten Aquarelle des Spätwerkes, in denen Janssen mit Farbe und dynamischen Pinselstrichen aufwartet, sind dem fantastischen Land „Bobethanien“ gewidmet. Heidrun Bobeth ist es nämlich, die den kranken Janssen liebevoll betreut, ihr sind diese Aquarelle gewidmet.
Große Farbradierungen von Wiesen und Feldern schließen das Thema Landschaft bei Horst Janssen ab. In diesen zuweilen fast monochromen Blättern weicht die aufgeregte Darstellung der Landschaft einer ruhigen, nahezu abgeklärten Sicht auf Oberfläche und Strukturen von Wiesen und Äckern.
Die Sammlung des Galeristen Hans Brockstedt in Hamburg beherbergt zu sämtlichen Phasen des Landschafts-Themas – von den Anfängen in den späten 60er Jahren bis zu der Schaffensphase kurz vor Janssens Tod – herausragende Beispiele, die im Horst-Janssen-Museum vorgestellt werden.
Der Ausstellungskatalog wurde durch die Ernst von Siemens Kunststiftung gefördert.
Move the Line
7,00 €In der Bildenden Kunst stand die Zeichnung zunächst für eine (Gedanken-)Skizze, für die Vorbereitung oder Planung eines größeren, repräsentativen Werkes. Insofern galt sie als Grundlage für jede weitere künstlerische Arbeit. Bald führte sie jedoch ein Eigenleben, weil sie als unmittelbare, ursprüngliche, manchmal intime, manchmal anarchistische künstlerische Äußerung einen besonderen Reiz hat.
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